Auch Lebenshilfe schränkt Kita-Betrieb ein

Freitag, 25. November 2022

Fachkräftemangel und hohe Krankenstände

Pohlheim/Kreis Gießen (-). Deutschland- und kreisweit grassiert derzeit akuter Arbeits- und Fachkräftemangel besonders im Bereich der Kinderbetreuung. Immer mehr Kommunen und freie Träger müssen Kita-Gruppen zeitweise schließen. Seit kurzem betrifft es auch die Einrichtungen der Lebenshilfe Gießen, die mit 13 Kitas und knapp 1000 Betreuungsplätzen in Stadt und Landkreis nach dem Evangelischen Dekanat der zweitgrößte Träger ist.

„Seit letzter Woche hat die Kita Allendorf nur noch bis 15 Uhr geöffnet. Für die ganz Kleinen gibt es an drei Tagen nur bis 13:15 Uhr eine Betreuung. Die reguläre Betreuungszeit bis 16 Uhr kann bis voraussichtlich Ende des Jahres nicht angeboten werden. Grund dafür sind der eklatante Personalmangel, unbesetzte Stellen, eine hohe Personalfluktuation und ein anhaltend hoher Krankenstand, der die Vergleichswerte aus den Vorjahren merklich übersteigt“, berichtet Lebenshilfe-Bereichsleiterin Dr. Rebecca Neuburger-Hees. In den übrigen Kindertageseinrichtungen der Lebenshilfe sieht es nicht besser aus. Auch in der Kita Germaniastraße in Watzenborn-Steinberg und in der Kita Garbenteich müssen zeitweise Betreuungszeiten gekürzt werden. Nicht selten werden einzelne Kitagruppen auch tageweise geschlossen. Im Kinder- und Familienzentrum Anne Frank der Lebenshilfe in Reiskirchen zeigt sich eine ähnliche Situation.

„Wir könnten die Aufzählung der betroffenen Kitastandorte beliebig fortsetzen. In manchen Kitas steht die Frage im Raum, ob Neuaufnahmen verschoben werden müssen, da nicht genug Personal da ist, um die betreuungsintensiven Eingewöhnungen der neuen Kinder durchzuführen“, ergänzt Vorstand Dirk Oßwald, Vorstand der Lebenshilfe Gießen. Teilweise ist auch die Schließung von Gruppen mit einer Umverteilung der Kinder auf die verbleibenden Gruppen im Gespräch. Eltern müssen seit Wochen hinnehmen, dass der Betrieb nicht selten auf Notbetreuung umgestellt wird und sie nur in absoluten Betreuungsnotfällen ihre Kinder in die Kita bringen dürfen. „Die aktuelle Lage ist wirklich dramatisch, so etwas habe ich noch nicht erlebt – und das sagen auch andere Kita-Träger, mit denen ich mich austausche. Wir als Lebenshilfe können mancherorts nicht mehr anders, als einen Teil der Last an die Eltern abzugeben. Dies belastet die Familiensysteme enorm und der Unmut der Eltern steigt – verständlicherweise“, sagt Dr. Rebecca Neuburger-Hees.

Von diesen Problemen ist nicht nur die Lebenshilfe betroffen. Mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diverser deutscher Hochschulen machten kürzlich, unter der Federführung von Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhof (Evangelische Hochschule Freiburg), auf die extremen Belastungen für den Bereich der frühkindlichen Erziehung und Betreuung aufmerksam. In einem öffentlichen Brief, der unter anderem an die Bundes- und Landesministerien verschickt wurde, warnten die Forschenden vor einem „System-Kollaps“, vornehmlich aufgrund des vorherrschenden Fachkräftemangels sowie gestiegener Anforderungen für das Personal in den Kindertagesstätten, und forderten die Politik auf, „deutlich verbesserte finanzielle und fachliche Anstrengungen zu unternehmen“, um das Kita-System zu stabilisieren. Die Lebenshilfe Gießen kann die Einschätzungen der Wissenschaftler aus der Praxis heraus bestätigen.

Selbst versucht das gemeinnützige Unternehmen mit deutlich mehr Ausbildung und ab 2023 als einer der ersten Träger in Deutschland mit der Anwerbung ausländischer Fachkräfte aus der Türkei gegen den Negativtrend zu arbeiten. „Aber das wird dauern und die Bedarfe steigen derweil weiter. Die Politik muss dringend handeln“, fordern die Verantwortlichen abschließend.

Die Lebenshilfe Gießen sammelt seit über 60 Jahren Erfahrung in der Arbeit mit Kindern und Familien und verfügt heute über zahlreiche Kitas und Kinder- und Familienzentren an 13 Standorten in Stadt und Landkreis Gießen. Weitere Informationen finden Sie hier.