Begegnungen auf Augenhöhe - Protesttag in Gießen

Freitag, 6. Mai 2022

Die Lebenshilfe Gießen lud zum inklusiven Rollstuhlbasketball in Gießens Innenstadt ein

„Wenn man einmal im Sportrollstuhl sitzt, will man nicht mehr aufstehen“, sagte Michael Krayl, Promotion-Koordinator des RSV Lahn-Dill, dem Rollstuhlbasketballverein aus Wetzlar. Die Erfahrung durfte am 5. Mai auch Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher machen. Den ehemaligen Handballer packte der Ehrgeiz, vom niedrigen Sportrollstuhl den Basketballkorb in 2,30 Meter Höhe zu treffen. Der Ball traf den Korb – Jubel für den OB und die Gießen 46ers, die an diesem sonnigen Nachmittag eigens in die Sonnenstraße gekommen waren, um Passant*innen zum Wurfwettbewerb aufzufordern. Oberbürgermeister Becher gab den Startschuss für eine inklusive Sport-Aktion, die die Lebenshilfe Gießen anlässlich des Europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung ausrichtete.

„Tempo machen für Inklusion – barrierefrei zum Ziel“ lautete das Motto des Protesttages, an dem sich deutschlandweit rund 600 Vereine und Initiativen beteiligten. Es ging an diesem Tag darum, die Kluft zwischen dem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf Gleichberechtigung für alle Menschen und der Lebenswirklichkeit Stück für Stück zu überwinden. Maren Müller-Erichsen, Aufsichtsratsvorsitzende der Lebenshilfe Gießen, wies in ihrer Begrüßung auch auf institutionelle Barrieren hin, die die Lebenshilfe in allen Lebensphasen überwinden will. Das oberste Ziel dabei sei Selbstbestimmung aller Menschen. Oberbürgermeister Becher schloss in der gemeinsamen Begrüßung daran an: Barrierefreiheit bedeute, „dass alle Menschen so selbstbestimmt und eigenverantwortlich wie möglich die Dinge tun können, die sie tun möchten, wie zum Beispiel Sport machen.“

Begegnung benötigt Gelegenheiten. Rund um den Basketballkorb, der neben dem Spielzeugenwarengeschäft Fuhr aufgebaut wurde, versammelte sich schnell eine spielbegeisterte Mannschaft von Personen. Die Lebenshilfe Gießen, die Gießen 46ers und der RSV Lahn-Dill luden dazu ein, neue Erfahrungen zu machen und dabei die Innenstadt aus einer anderen Perspektive zu erleben – nämlich aus einem Rollstuhl heraus. Mit dabei waren auch Sozialdezernent Francesco Arman und Samuel Groß, Behindertenbeauftragter der Stadt Gießen, Dirk Oßwald, Vorstand der Lebenshilfe Gießen und Daniel Tabert, Werkstattrat der Reha-Werkstatt Mitte.

Tabert hatte viele Kolleg*innen aus den Reha-Werkstätten der Lebenshilfe mobilisiert, die sich über die Begegnungen im öffentlichen Raum freuten. Extra aus dem Vogelsberg angereist war Emma. Die 12-jährige aus Ulrichstein hatte die Gießen 46ers vor vier Wochen bei einem Spiel erlebt und ist seitdem Feuer und Flamme. Kürzlich trat sie in einen Basketballverein ein: „Für mich war der heutige Nachmittag ein absolutes Highlight. Ich bin begeistert, dass ich alle Spieler der 46ers persönlich treffen konnte!“ Als nächstes steht der Besuch eines Spiels des RSV Lahn-Dill auf dem Plan. Auch Michaela Muth, Mitarbeiterin der Lebenshilfe Gießen und 46ers Fan, will am 15. Mai zum Endspiel des RSV Lahn-Dill in die Buderus-Arena nach Wetzlar.

Für Daniel Tabert und Jörg Schlienbecker, Mitarbeiter der Reha Mitte, war es ein gelungener Tag. Im Vordergrund stand das gemeinsame Spiel auf Augenhöhe. Schließlich mussten sich auch die Profis von den 46ers erst einmal mit den Rollstühlen vertraut machen. Für niemanden war das eine leichte Sache – aber alle hatten viel Spaß beim Machen neuer Erfahrungen. Jörg Schlienbecker fasste den Tag so zusammen: „Für mich war es eine sehr gute Umsetzung des Mottos ‚Tempo machen für Inklusion‘. Es ist gar nicht so einfach, Bewegung in die Sache zu bekommen. Aber das ist uns heute definitiv gelungen.“