„Gute Menschen machen mir Hoffnung“

Dienstag, 4. Juni 2024

Inklusivreporter „Die Normalos“ im Interview mit „Kultursommer“-Star Bosse / Konzert am 22. August auf dem Gießener Schiffenberg

Gießen (-). Seit gut zwei Jahren sind „Die Normalos“ mit Kamera und Mikrofon regelmäßig in der Stadt unterwegs. Die inklusive Social-Media-Redaktion der Lebenshilfe Gießen klärt in ihren Videos auf Instagram über Barrieren auf, beschäftigt sich mit aktuellen Themen und berichtet von Veranstaltungen. Ein Telefonat mit einem Musik-Star ist natürlich dennoch nicht alltäglich. So war die Freude bei der zwölfköpfigen Redaktion aus Menschen mit und ohne Behinderung groß, als die Zusage für ein Interview mit dem bekannten Sänger Axel „Aki“ Bosse kam, der am 22. August den Gießener Kultursommer auf dem Schiffenberg eröffnen wird. Spätestens seit seinem Album „Kraniche“ (2013) zählt Bosse zu den führenden deutschen Singer-Songwritern. Im vergangenen Herbst veröffentlichte der 44-Jährige sein neuntes Studioalbum „Übers Träumen“, dessen Songs er auch bei seinem Auftritt in Gießen im Gepäck haben wird.

Die folgenden Fragen haben „Die Normalos“ gemeinsam erarbeitet. Das Telefon-Interview führte Inklusiv-Reporterin Katharina Volz gemeinsam mit Redaktionsleiterin Jasmin Mosel. Sie sprachen mit Aki Bosse über Toleranz und Gleichberechtigung, Hoffnung in herausfordernden Zeiten, die schöne Atmosphäre auf dem Gießener Kultursommer und natürlich „Übers Träumen“.

 

Du warst ja gerade erst auf Hallentour. Wie lange dauert es denn, bis der Muskelkater wieder nachlässt?

(lacht) Das ist auf jeden Fall die beste Frage heute. Ich bin ja jetzt 44 Jahre alt, aber der Muskelkater ist gar nicht das Problem. Das Problem ist eher, dass ich so viel springe und so viel tanze, dass ich wirklich erstmal bei einer Osteopathin war, die mir mein komplettes Skelett wieder hingeruckelt hat. Also: Muskelkater zwei Tage. Bis der Körper wieder gerade ist, hat es aber schon so eine Woche gedauert. Jetzt geht es aber wieder.

 

Wie fühlt sich das Nach-Hause-Kommen nach einer Tour an? Was hast Du als Erstes gemacht?

Meine Familie hat mich auf Tour öfter besucht. Und die letzten beiden Konzerte waren in Hamburg, wo ich lebe. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mich danach einfach nur aufs Sofa gelegt, mein kleiner Hund hat sich auf mich draufgelegt und dann habe ich da einfach nur gelegen. Das ist nämlich genau das, was ich auf Tour super selten mache: runterkommen. Weil das teilweise so anstrengend ist und ich auch so fokussiert sein muss wegen der Stimme, wegen des Tanzens und weil ich sehr viel Verantwortung habe. Ich ziehe das dann durch und sobald es vorbei ist, gehe ich dahin, wo ich hingehöre in dem Moment: Nämlich aufs Sofa mit meinem Hund.

 

In Deinem aktuellen Album singst Du „Übers Träumen“. Wir haben also ein paar Fragen überlegt, die sich auch mit Träumen beschäftigen: Hast Du einen Traum, der immer wiederkehrt?

Da gibt es bei mir eigentlich nur einen und der ist gar nicht schön. Ich glaube, es hat irgendwas mit Verlustangst zu tun. Es verschwinden auf jeden Fall immer Leute, die ich suche. Ich bin dann ganz froh, wenn ich aufwache. Aber ich muss dazu sagen, dass ich manchmal schlafwandle. Auch das hat irgendwie mit dem Suchen zu tun. Irgendwann steht meine Frau vor mir und sagt: „Komm‘, leg dich einfach wieder ins Bett, alles ist gut.“

 

Warst Du schon einmal an einem Punkt, an dem Du die Musik-Karriere aufgeben wolltest? Hattest Du einen Alternativ-Traum?

Als ich angefangen habe mit Bosse, das ist ungefähr 20 Jahre her, da war das so, dass erstmal niemand auf die Konzerte kam und es auch nicht so viele Leute interessiert hat, was ich mache. Dann bin ich ein paar Jahre später Vater geworden und in dem Moment habe ich dann schon so richtig laut gezweifelt, vor allen Dingen im Gespräch mit meiner Frau. Ich habe gesagt, Musik ist so eine brotlose Kunst, ich glaube, ich mache nochmal eine Ausbildung oder ich gehe eben „richtig“ arbeiten. Weil ich einfach so Angst hatte, wie das ist mit der Verantwortung und mit dem Geld. Meine Frau hat dann gesagt, dass ich bescheuert bin und weiter Musik machen soll. Danach ging es komischerweise bergauf.

 

Hast Du schon mal einen Song geträumt?

Ja, auf jeden Fall. Wenn ich in einer Schreibphase bin, dann gehe ich auch schon mit einem Song ins Bett. Das Letzte, was ich tue, bevor ich schlafen gehe, ist, dass ich mir das anhöre, was ich am Tag gemacht habe. Und manchmal wache ich morgens auf und habe die Lösung, also zum Beispiel eine weitere Melodie. Dann gehe ich sofort ans Klavier und setze mich ran.

 

In „Nur noch ein Lied“, das Du gemeinsam mit LEA singst, geht es um die Vorstellung, dass die Welt morgen untergehen könnte. Für wen wäre Dein letztes Lied und worum ginge es?

Als ich Lea getroffen habe, haben wir gedacht, okay, das Einzige, was auf meinem Album „Übers Träumen“ noch fehlt, ist die allerschlimmste Vorstellung - dann haben wir das Lied geschrieben. Wenn ich ein letztes Lied hätte, dann wäre das schon für meine Familie, aber ich würde irgendwas Lustiges singen. Weil ich manchmal finde, - wenn es besonders scheiße läuft -, dann ist Humor eine ganz gute Sache.

 

Bezogen auf die aktuelle Zeit, in der rechte Hetze, Kriege und Hass täglich in den Nachrichten sind: Was macht Dir Hoffnung?

Was mir am allermeisten Hoffnung macht, sind die Menschen. Es gibt ja wirklich viele Idioten. Aber auf der anderen Seite sind so viele tolle Leute. Und was mir gerade Freude macht, sind junge Leute, die aktiv sind und lebensfroh und offen und auf ihre Art und Weise tolerant und frei. Die guten Menschen machen mir Hoffnung. Und davon gibt es reichlich mehr.

 

In Deinem Song „Paradies“ hast Du schon einen Einblick gegeben. Wir fragen trotzdem nochmal: Welche Welt erträumst Du Dir?

In dem Song geht es mir vor allen Dingen um Gleichberechtigung, um etwas Uneingeschränktes, darum, dass alle so sein können, wie sie sein möchten. Das wäre auch die Welt, die ich mir erträumen würde.

 

Wäre in dieser Welt – anders als es in der Realität ist – Inklusion endlich erreicht? Was wünschst Du Dir im Umgang mit Menschen mit Behinderung?

In der Welt, in diesem Paradies aus dem Song, da ist das ganz locker erreicht. Bei Inklusion geht es, finde ich, um ein Zusammenleben, dass man aufeinander achtet und jeder Mensch wertvoll ist. Wenn ich über meine Konzerte nachdenke, habe ich auch viel dazugelernt, zum Beispiel was Rolli-Fahrer angeht. Ich hoffe jetzt, dass Leute, die im Rollstuhl sitzen, bei mir auf Konzerten immer super gut sehen können, weil ich mich darum kümmere, dass das Rolli-Podest höher gebaut wird. Ich glaube, Inklusion ist auch ein totales Interesse an dem Gegenüber, eine Sicht durch andere Augen – und das nicht als Problem anzusehen, sondern als Lösung.

 

Psychische Erkrankungen oder Behinderungen gelten in der Gesellschaft leider noch immer als Tabuthema. Könntest Du Dir vorstellen, darüber auch mal einen Song zu schreiben?

Super gerne. Ich schreibe es mir sofort auf. Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen.

 

Jetzt aber nochmal zu Deinem Konzert in Gießen: Du bist im August zum dritten Mal hier. Wird es auch noch ein viertes oder fünftes Mal geben?

Auf jeden Fall! Ich bin ganz kurz davor, mir Gießen tätowieren zu lassen.

 

Okay, wow. Du weißt schon, dass Gießen ein „Elefantenklo“ als Wahrzeichen hat? Also das würde ich mir gut überlegen.

Ja, vielleicht lasse ich mir einfach das Elefantenklo machen. (lacht) Nein… aber natürlich kommen wir noch ganz oft wieder.

 

Auf dem „Kultursommer“ bist Du noch nicht aufgetreten. Man hört immer wieder, dass sich die schöne Atmosphäre unter den Künstler*innen schon herumgesprochen hat. Hast Du etwas in diese Richtung gehört?

Genau, ich habe das auch gehört. Wenn Anfragen kommen, dann fange ich erst mal an zu googlen und rufe vielleicht zwei, drei Telefonjoker an, die da schon mal gespielt haben. In dem Fall brauchte ich das aber nicht, weil ich einfach ein paar Rezensionen gelesen und dann gemerkt habe: Okay, ich glaube, das ist wirklich schön. Die meisten Leute, die darüber schreiben, schreiben wenig über die Konzerte, sondern einfach, dass es total schön ist. Ich muss mich also an dem Abend richtig anstrengen, um die Schönheit des Klosters noch zu überschönen. (lacht)

 

Was erwartet uns?

Wir werden auf jeden Fall ein ganz schönes, langes Set spielen. Ich mag gerne Abendstimmung, die hat man in der Halle nicht. Und ich mag auch frische Luft und Leute, die loslassen und tanzen und mitsingen.

 

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Bosse (Special Guest: Das Lumpenpack) eröffnet am 22. August den Gießener Kultursommer auf dem Schiffenberg. Beginn: 19:30 Uhr. Tickets gibt es bei allen bekannten VVK-Stellen sowie über www.reservix.de und www.giessener-kultursommer.de.