„In erster Linie Empathie haben“

Donnerstag, 29. Juni 2023

Inklusive Social-Media-Redaktion der Lebenshilfe Gießen interviewt „Kultursommer“-Star Clueso

Gießen (-). Für Lena Barth und Katharina Volz war es das erste große Interview überhaupt. Zwar sind die beiden Reporterinnen der inklusiven Social-Media-Redaktion der Lebenshilfe Gießen inzwischen gewohnt, mit Kamera und Mikrofon unterwegs zu sein. Ihre Beiträge erscheinen regelmäßig auf Instagram. Ein Gespräch mit einem bekannten Künstler vorzubereiten, war dann aber doch ein großer Schritt. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Gießener Kultursommer haben „Die Normalos“ – so der Name der von der Aktion Mensch geförderten Redaktion aus derzeit zehn Menschen mit und drei Menschen ohne Behinderung – die Zusage für ein Interview mit Clueso erhalten.

Der 43-jährige Sänger, Songwriter und Produzent gehört fest zu Deutschlands Musikszene. Clueso, der bürgerlich Thomas Hübner heißt, veröffentlichte bisher neun Studioalben, erhielt dafür sieben Gold- und zwei Platinauszeichnungen und kooperierte mit zahlreichen nationalen Größen wie Die Fantastischen Vier, Capital Bra oder Udo Lindenberg. Am 29. August spielt er mit seiner Band im Rahmen des Kultursommers auf dem Schiffenberg in Gießen.

Die folgenden Fragen haben die Mitglieder der Inklusiven-Social-Media-Redaktion zusammen erarbeitet. Lena Barth und Katharina Volz führten das Telefon-Interview gemeinsam mit Redaktionsleiterin Jasmin Mosel. Clueso zeigte großes Interesse für das Inklusiv-Projekt, erkundigte sich nach den Redaktionsteilnehmern und bot sofort das „Du“ an. „Es war ein tolles Erlebnis, von dem ich noch sehr lange erzählen werde“, sagt Katharina Volz, die in der Reha-Mitte arbeitet, einer Einrichtung für chronisch-psychisch erkrankte Menschen. Lena Barth ist begeistert von der Offenheit des bekannten Musikers: „Er war total sympathisch und hat sich viel Zeit genommen.“

 

Dein Künstlername wird ja nicht immer korrekt ausgesprochen. Ich habe da schon die verschiedensten Variationen gehört: Clu-eso, Clü-eso, Clussu. Kannst Du darüber noch lachen?

Clueso: Ich bin ja selbst schuld, alles cool. Ursprünglich war das mal eine Inspiration von Inspektor Clouseau, der sich noch komplizierter schreibt. Dann hatte ich das eine Weile mit „Ü“ geschrieben, was auch ganz förderlich war. Aber irgendwie haben mich diese Ü-Striche immer genervt. Die fand ich grafisch nicht so geil.

 

Auf Deinem aktuellen Album geht es auch um die Frage "Was wäre, wenn...". Gibt es denn einen Punkt in Deinem Leben, an den Du heute noch zurückdenkst und Dich fragst, wo Du nun wärst, hättest Du Dich damals anders entschieden? Wärst Du dann vielleicht noch Frisör?

Clueso: Ich hatte in den ersten Jahren guten Support von Leuten, die etwas in mir gesehen haben, wie mein alter Manager damals. Da war ich gerade mal 17 und ich wollte zwar vieles, aber habe gedacht, ich muss erst weiter einen Job machen. Ich glaube, wären diese Leute nicht da gewesen, die gesagt haben: „Ey, Du brauchst nicht alle Referenzen auf Papier, du kannst auch einfach mal was riskieren“, dann würde ich wahrscheinlich weiter als Frisör arbeiten, hätte aber den fettesten Laden in Thüringen.

 

Und wie würde der heißen?

Clueso: Hair Force One (lacht). Nee, ich glaube, ich würde nichts mit „Hair“ machen.

 

Du gehst sehr offen damit um, dass Du früher Probleme in der Schule hattest und gerade so einen Hauptschulabschluss geschafft hast. Was möchtest Du Menschen mitgeben, die denken, aus ihnen kann sowieso nichts werden?

Clueso: Das ist eine spannende Frage. Ich glaube, dass man viel ausprobieren muss. Also nicht einfach nur rumsitzen und Playsi 5 zocken und sagen, das System kommt nicht klar mit mir. Ich glaube ganz fest daran, dass sich Sachen ergießen in einer Art Trichter. Wenn Du viel ausprobierst, bringt Dich das irgendwo hin. Wenn du das Gefühl hast überall nur zu versagen, konzentriere Dich auf Deine Stärken. Da muss man viel Zeit investieren und auch nicht müde werden, ehrlich gesagt.

 

Hattest Du schon einmal Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung oder psychisch erkrankten Menschen? Was hältst Du im Umgang für wichtig?

Clueso: Ja, hatte ich. Habe ich auch im Freundeskreis. Ich glaube, erstmal ist eine eigene

Offenheit sehr, sehr wichtig und dann ist es auch eine individuelle Sache. Jeder Mensch, der eine Behinderung hat, hat eine andere Art, damit umzugehen. Das muss man erstmal akzeptieren und dann kann man so offen sein, wie derjenige mag. Das gilt für Humor, das gilt für aufeinander zugehen. Ich finde, in erster Linie muss man Empathie haben.

 

Du zeigst großes soziales Engagement, setzt Dich zum Beispiel für Wasserprojekte in Afrika und gegen Rassismus ein. Wie ist es dazu gekommen?

Clueso: Ich bin mit 17 in das Musikbusiness reingestoßen worden und wusste überhaupt nicht, dass ich eine Vorbildfunktion habe. Es kam nach und nach, dass ich Menschen kennengelernt habe, die ein Engagement haben. Ich habe für mich entschieden, dass ich mich lieber für weniger einsetze, aber länger dranbleibe. Ich picke mir lieber Sachen raus, als überall nur mal aus der Torte zu springen und dann nichts mehr zu machen. Und alle anderen Dinge sind bei mir auch passiert durch Empathie und Menschlichkeit, die mir von meinen Eltern mitgegeben wurden und auch von meinen Freunden.

 

Du hattest auch eine Familie aus der Ukraine bei Dir aufgenommen. Möchtest Du hierüber noch etwas erzählen?

Clueso: Ich habe Freunde aus Kiew, die geflüchtet sind. Eine Mutti mit zwei Kids hat neun Monate bei mir gewohnt und wir haben nebenbei eine Wohnung gesucht. Es hat sich dann ein Freundeskreis gebildet, da waren noch mehr Familien. Irgendwann saßen ganz viele Leute beim Abendbrot und haben russisch geredet oder ukrainisch. Und ich saß da und habe die Ohren gespitzt und noch ein bisschen mehr gelernt. Es ist ein sehr trauriges Thema. Ich habe auch viele russische Freunde, denen es auch sehr wehtut und leidtut, die man nicht stigmatisieren sollte. Da gibt es auch Zusammenhalt und viele Leute helfen. Es sind noch Freunde von uns im Krieg. Ich bin nicht sehr gläubig, aber in letzter Zeit schon mehr angeschlossen mit dem Blick zum Himmel, weil ich hoffe, dass die Menschen gesund rauskommen und es endlich vorbei ist.

 

Das hoffen wir auch. Und das ist jetzt leider ein krasser Themenwechsel, aber wir haben noch ein paar Fragen. Du lebst nach wie vor in Erfurt. Was fühlst Du für Deine Heimatstadt?

Clueso: Eine Art Sicherheit. Ich wohne hier, kann blind durch die Straßen laufen und ich kenne wirklich jede Häuser-Ecke. Ich weiß, wie es hier riecht, wie es aussieht. Das ist ein schönes Gefühl, wenn ich nach Hause komme. Wenn ich Leuten begegne, die mich seit Jahren kennen – auch vor der Bekanntheit – dann bin ich halt der „Hübi“. Natürlich wird hier auch viel „clueso-fiziert“, da muss ich dann manchmal durch die Seitengasse laufen. Aber ich liebe Erfurt und wohne auch direkt in der Innenstadt, habe meinen Rückzugsort und zwei Eingänge, wo ich auch mal schnell – so Katzentür-mäßig – reinrennen kann.

 

Du warst gerade in bei "Sing meinen Song" zu sehen, direkt in zwei Staffeln hintereinander. Welche Neuinterpretation Deiner Songs hat Dir besonders gut gefallen?

Clueso: Ich saß da auf dieser Couch und habe nur gestaunt. Ich fand „Barfuß“ von Stefanie Kloß von Silbermond großartig. Und Montez hat aus „Du warst immer dabei“ seine eigene Version gemacht. „Paris“ von Alli Neumann war unfassbar schön. Man hat einfach gemerkt, dass zwischen uns allen die Chemie stimmt. Jeder hat irgendwas Geiles gemacht und sich Mühe gegeben. Bei „Sing meinen Song“ bereiten wir uns fast ein halbes Jahr vor und versuchen, eine Version zu machen, die die Leute umhaut. Auch mal was verwerfen und neu entscheiden.

 

Du hast schon mit den unterschiedlichsten Musikern zusammengearbeitet - von Udo Lindenberg bis Capital Bra? Wer steht noch auf Deiner Liste?

Clueso: Eigentlich stand ja keiner auf meiner Liste, außer alle (lacht). Es gibt ein paar Künstler, die ich großartig finde. Das hat immer so ein bisschen was von verknallt sein. Wenn man das zu groß rumposaunt, habe ich Angst, dass es nicht klappt. Deswegen bin ich da mal ganz still, weil ich versuche, den Leuten zu begegnen und ein paar kleine Zeichen reinzugeben. Da kann es manchmal Jahre dauern. Es muss ja passen auf beiden Seiten.

 

Mit den Fantastischen Vier hast Du ja auch mal eine Single („Zusammen“) veröffentlicht. Und die Fantas spielen auch beim Gießener Kultursommer. Wer von Euch liefert da die bessere Show?

Clueso: (lacht) Das kann ich objektiv beurteilen. Ich.

 

Was erwartet uns?

Clueso: Wir haben eine Spielfreude, die ist unglaublich – die ganze Band, alle Musiker*innen, die dabei sind. Marlene am Bass ist zum Beispiel Mutti geworden. Wir haben den kleinen Wurm mitgenommen, weil sie gesagt hat: „Ich bin eine junge Mutti, ich will arbeiten.“ Und es klappt ganz wunderbar. Dieses Baby hat der Gruppe einen so krassen zusätzlichen Zusammenhalt gegeben. Wir genießen den Moment auf der Bühne. Wir haben eine sehr gesunde Fuck-off -Mischung entwickelt, jetzt im Mid-Age. Wir müssen nichts beweisen, wir wollen einfach spielen.

 

„Die Normalos“ freuen sich, Clueso bei seinem Auftritt in Gießen live erleben zu können. Denn der Sänger stellte direkt nach dem Interview Tickets für die gesamte Inklusiv-Redaktion zur Verfügung.