„Kinder haben gelernt, auf ihr Bauchgefühl zu hören“
Vorschulkinder der Lebenshilfe-Kita Lich-Eberstadt besuchen Präventionskurs von Anti-Gewalt Trainer Frank Durst
Lich-Eberstadt (-). „Oft ist Gewalt viel subtiler, als wir sie in den Medien sehen. Nicht an jeder Schule werden die Kinder mit Messern bedroht. Aber fast überall gibt es Kinder, die gehänselt, bedroht oder sogar angegriffen werden. Diese Kinder verlieren die Lust am Unterricht, ihre Noten verschlechtern sich. Hier setzen wir an und erklären den Kindern, dass Gewalt ‚uncool‘ ist“, so beschreibt Frank Durst, der seit 1992 in den Bereichen Gesundheit, Wohlbefinden, Prävention und Sicherheit tätig ist, seine Tätigkeit als Anti-Gewalt-Trainer. Sein oberstes Ziel ist es, Selbstbewusstsein bei Kindern und Jugendlichen zu schaffen, um sie für knifflige Situationen zu wappnen. Dass es auch außerhalb der Schule heikle Situationen geben kann und wie Kinder damit umgehen können, konnten die Vorschulkinder der Lebenshilfe-Kita Lich-Eberstadt in dem vom Elternbeirat initiierten und vom Landhandel Diehl und Metallbau Schäfer, beide aus Eberstadt, sowie Room No.1 aus Frankfurt gesponserten Präventionskurs lernen.
In zwei Kursen übten die 13 Vorschulkinder in Einzelübungen und im Rollenspiel, typische Konfliktsituationen zu lösen. Ziel der Übungen war es, den Kindern Sicherheit zu geben, damit sie ihre Angst verlieren und in der Lage sind, Konflikte bewusst zu deeskalieren. Dem Trainer war es wichtig, dass die Kinder dabei Spaß haben. „Denn Kinder lernen schneller, wenn sie in einer freundlichen Atmosphäre spielerisch an ernste Themen wie Gewaltvermeidung herangeführt werden“, so Durst.
In einer Vorstellungsrunde erklärte Frank, wie die Kinder ihn nennen durften, dass sie aufgrund ihrer Körpergröße und ihres jungen Alters sehr schnell und beweglich seien. Das sei ein großer Vorteil, denn dadurch können sie sich gefährlichen Situationen schnell entziehen beziehungsweise sich flink wehren. Zur Übung setzten sich die Kinder auf den Boden und traten mit den Beinen um sich, um auf diese Weise beispielsweise Angreifer abwehren zu können. Auch kleine Reaktionsübungen ließen die Kinder erkennen, wie schnell sie sind.
Aufs Bauchgefühl hören
Immer wieder wies der Trainer darauf hin, dass die Kinder auf ihr Bauchgefühl hören sollen, denn dieses sei ihr wichtigster Ratgeber: „Wenn zum Beispiel eine fremde Person Dich nach dem Weg zum Bahnhof fragt und Du ein komisches Gefühl bekommst, dann sagst Du einfach ‚Fragen Sie einen Erwachsenen‘ und gehst ruhig weiter. Sollte die Person Dich trotzdem nicht in Ruhe lassen, strecke deine Hände in Abwehrhaltung aus und rufe ihm laut zu ‘Stopp, lassen Sie mich in Ruhe!‘. Dann suchst Du Dir einen anderen Erwachsenen, fasst ihn am Arm, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, zeigst auf die fremde Person und sagst ‚Hier stimmt was nicht!‘“. Die anschließende Frage der Kinder, ob der andere Erwachsene dann auch wirklich helfen würde, konnte der Trainer aus seiner Erfahrung heraus beruhigend bejahen.
Einen großen Lerneffekt hatten die Rollenspiele. Der Trainer tat beispielsweise so, als ob er telefoniere und ließ vermeintlich versehentlich einen Geldschein auf den Boden fallen. Die Aufgabe jedes einzelnen Kindes bestand darin, den Geldschein nicht aufzuheben oder gar der fremden Person zu reichen (die nach dem Arm des Kindes greifen könnte), sondern die Person aus sicherer Entfernung auf ihr Missgeschick aufmerksam zu machen mit den Worten „Entschuldigung, Sie haben da etwas verloren“, dann aber cool weiterzugehen und sich nicht in ein Gespräch verwickeln zu lassen.
Verschiedene Übungen
Auch auf die Bitte eines fremden Erwachsenen, ein Kind fotografieren zu dürfen, lernten die Kinder zu reagieren. Sie sollen sich einfach die Hände vor das Gesicht halten. Eine beliebte Vorgehensweise sei auch, einem Kind einen Ball zuzuwerfen, um so mit ihm in Kontakt zu treten. Die Kinder übten, nicht reflexartig einen Ball aufzufangen, der ihnen von einer fremden Person zugeworfen wird, sondern einfach weiterzugehen.
Der Trainer kam auch darauf zu sprechen, dass beim Schuleintritt konfliktreiche Situationen entstehen könnten, denn dort seien die jetzt „großen Vorschulkinder“ die „kleinen Erstklässler“. Im Rollenspiel übten die Kinder Verhaltensweisen, wenn ältere Schüler sie beispielsweise nicht aus der Toilette herauslassen. Frank ermutigte sie, ruhig zu warten und bis 30 zu zählen. In der Regel würden die älteren Schüler dann das Interesse verlieren. Dies sei ein guter Moment, um aus der Tür zu stürmen und laut „Stopp, lasst mich in Ruhe!“ zu rufen.
Fairness wichtig
Durst wies immer wieder darauf hin, dass jedes Kind fair behandelt werden will, selber aber auch fair handeln muss. Mit gepolsterten Kampfstöcken übten die Kinder im Zweikampf mit dem Trainer, sich gegenseitig wertzuschätzen und die Regeln einzuhalten. Auch die Übung, einen aufgeblasenen Luftballon so zu balancieren, dass er nicht auf den Boden fällt, stärkte die Konzentrationsfähigkeit und Sensibilität der Kinder.
Die Teilnahme an den jeweiligen Trainingseinheiten war für die Kinder freiwillig. Obwohl das ständige Üben die Kinder besonders trainiert, erzielt auch das Zuschauen seine Wirkung. „Die vielfältigen Übungen haben meiner Meinung nach zur Unterstützung der Selbstwahrnehmung, Selbstwirksamkeit, Selbstsicherheit und Resilienz der Kinder beigetragen. Sie haben gelernt, auf ihr Bauchgefühl zu hören und ihnen wurden Möglichkeiten eröffnet, deeskalierend zu handeln“, resümierte Martina Herzberger, Erzieherin in der Lebenshilfe-Kita in Eberstadt.
Am Ende des zweiten Kurstages erhielt jedes Kind - neben einem persönlichen Lob vom Trainer - eine Urkunde. „Das Schönste jedoch waren die glücklichen Gesichter der Kinder“, hielt Martina Herzberger fest.